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Das Projekt Community-Based Chronic Care Lesotho (ComBaCaL) startete 2021. Forschende wie Felix Gerber, die die Studie begleiteten, konnten erstmals zeigen, dass Dorfgesundheitsberatende – also geschulte Laien – mithilfe einer App bei Menschen in ihrem Dorf selbstständig Bluthochdruck und Diabetes diagnostizieren und behandeln können. Im Interview erklärt Felix Gerber, wie die eigens dafür entwickelte App die Laienpersonen bei ihren Einsätzen unterstützt.
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Was ist Ihre Rolle bei ComBaCaL?
Felix Gerber: Ich bin unter anderem zuständig für die Entwicklung der App, das Training der Dorfgesundheitsberatenden und die wissenschaftliche Auswertung des Projekts. Wir stellen sicher, dass die App den nationalen medizinischen Richtlinien folgt und dass wir messen können, ob das Projekt tatsächlich einen gesundheitlichen Nutzen für die Bevölkerung bringt.
Stellt die Anwendung der App für die Laien eine Herausforderung dar?
Grundsätzlich ist die App sehr nutzerfreundlich, da sie dafür gemacht wurde, von Laien verwendet zu werden. Auch wenn einige der Dorfgesundheitsberatenden vorher kein Smartphone besassen, fällt es ihnen dank der App leicht, die richtigen Informationen zu sammeln und korrekten diagnostischen und therapeutischen Entscheide zu fällen. Nach etwas Angewöhnungszeit sind die Dorfgesundheitsberatenden mittlerweile sehr zufrieden mit der App. Wir haben eine Befragung zur Nutzerfreundlichkeit durchgeführt. Die App macht ihre Arbeit effizienter, die Dorfgesundheitsberatenden und die Patient:innen haben mehr Vertrauen in die Empfehlungen und es geht keine Information verloren. Niemand möchte mehr ohne die App arbeiten. Das Gesundheitsministerium hat dies erkannt und arbeitet an der Digitalisierung für alle der über 7 000 Dorfgesundheitsberatenden im ganzen Land. Mit unserem Projekt können wir somit wichtige Erfahrungen sammeln, von welchen das Ministerium direkt profitieren kann.
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Wie viel medizinisches Wissen müssen die Dorfgesundheitsberatenden mitbringen?
In vielen Ländern gibt es nicht genügend medizinisches Fachpersonal. Um unter diesen Umständen, die Gesundheitsversorgung sicherzustellen, arbeiten Lesotho und viele andere Länder mit Dorfgesundheitsberatenden, die keine formelle medizinische Ausbildung haben. Sie erhalten eine kurze Ausbildung von wenigen Wochen. Im Rahmen des ComBaCaL Projekts werden sie in Bezug auf Bluthochdruck und Diabetes geschult. Sie lernen etwa, den Blutdruck und den Blutzucker zu messen, diese zu interpretieren und klinische Warnsymptome zu erkennen Dank der App können die Dorfgesundheitsberatenden nun Aufgaben übernehmen, die sonst nur Krankenschwestern oder Ärzte durchführen können, da sie genaue Anleitungen erhalten. Somit geschehen weniger Fehler und viel mehr Leute können erreicht werden.
Wie wird die Qualität der Behandlung sichergestellt?
Die Idee ist, dass die Dorfgesundheitsberatenden mithilfe der App die Menschen selbst behandeln können. Solche Apps kennt man zum Beispiel auch aus der Notfalldiagnostik. Entwickeln die Patient:innen beispielsweise Nebenwirkungen, leitet die App die Dorfgesundheitsberatenden dazu an, sie an die nächstgelegene Gesundheitseinrichtung zu verweisen. Durch die App ist es nun aber auch möglich, zu jeder Zeit aus der Ferne sicherzustellen, dass alle Informationen korrekt sind und die richtigen Empfehlungen abgegeben werden. Beispielsweise können Supervisor:innen sehen, wenn es in einem Dorf keine Medikamente mehr gibt oder wenn ein Kontrolltermin fällig ist und dann via Telefon den Dorfgesundheitsberatenden Unterstützung anbieten.
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Das Projekt läuft jetzt im fünften Jahr. Was haben Sie bisher geschafft?
Es wurden über 100 Dorfgesundheitsberatenden rekrutiert und ausgebildet. Rund 16’000 Dorfbewohnende wurden registriert, auf Diabetes und Bluthochdruck untersucht und erhalten nun Behandlung mit regelmässigen Kontrollen falls notwendig. Das System funktioniert nun schon seit über zwei Jahren. Wir konnten dabei die Kontrolle von Diabetes und Bluthochdruck signifikant auf sichere Weise verbessern. Dies ist essenziell, um Komplikationen wie Herzinfarkte, Nierenschäden oder Hirnschläge vorzubeugen, für die es in Lesotho meist keine Therapieoptionen gibt.
Was hat Sie am meisten überrascht?
Wir sind zwar davon ausgegangen, dass es möglich sein könnte, viele Leute mit Diabetes und Bluthochdruck zu identifizieren, aber wir wussten nicht, ob die Behandlung durch Laienpersonen wirklich machbar und effektiv sein würde. Darum haben wir das Projekt wissenschaftlich begleitet und die entsprechenden Daten analysiert. Dass nun alles so gut funktioniert hat und wir einen positiven Effekt zeigen konnten, hat uns gefreut. Es ist ein absolutes Highlight, dass wir mit einer einfachen, nachhaltigen Lösung eine grosse Gruppe von Menschen behandeln konnten und zeigten, dass einfache und sichere Medikamente meistens genügen, sowie dass dezentralisierte Behandlung von Bluthochdruck oder Diabetes durch entsprechend ausgebildete Dorfgesundheitsberatende funktioniert.
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Wie geht es nun weiter?
In der nächsten Phase möchten wir das Projekt ausweiten: Geografisch durch die Einbeziehung weiterer Dörfer und inhaltlich durch die Erweiterung der Aufgaben der Dorfgesundheitsberatenden um die Themen HIV sowie sexuelle und reproduktive Gesundheit. Wir arbeiten ausserdem weiter mit den Gesundheitsbehörden zusammen, damit das ganze System der Dorfgesundheitsberatenden weiterentwickelt werden kann und wir das politische Momentum durch die positiven ComBaCaL-Resultate nutzen können. Das Ziel wäre, dass alle Menschen im Land Zugang allen essentiellen Gesundheitsdienstleitungen haben. Zudem können auch viele andere Länder von unseren Erfahrungen profitieren, da wir die wissenschaftlichen Daten dazu veröffentlichen.
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Felix Gerber doktorierte an der Universität Basel mit den Schwerpunkten HIV/Tuberkulose-Infektion und Gesundheitsversorgungsforschung. Als Projektmitglied von ComBaCaL forscht er aktuell an innovativen Gesundheitslösungen zur Behandlung von chronischen Krankheiten in Lesotho. Durch die Einbindung von Dorfgesundheitsberatenden soll die Versorgung in abgelegenen, ländlichen Gegenden verbessert werden.